Volontärbericht Palästina August 2022

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Das Bild wurde von Anu Seiler am 14.08.2022 im Rahmen ihres Volontäraufenthalt in Palästina geschossen. Das Bild zeigt einen Sonnenuntergang von einem Balkon in einem Dörfchen in Ramallah. Im Hintergrund sind zum einen Olivenbaumplantagen und israelische Siedlungen im Westjordanland  zu sehen. 

Unsere Volontärin Anu Seiler arbeitet während drei Monaten als Volontärin in den Projekten unserer Partnerorganisation YWCA Palestine mit. In ihrem Bericht über die ersten zehn Tage ihres Volontariats schreibt Anu folgendes:


Zwischen herzlicher Gastfreundschaft und bitterer Realität
مرحبا (Marhaba) – Dies ist eines der wenigen Wörter, die bereits nach kurzer Zeit in Palästina fest in meinem Wortschatz verankert sind. Fast zwei Wochen ist es jetzt her, seit ich am Ben Gurion Airport in Tel Aviv angekommen bin. Während meiner Reise war ich jedoch sehr darauf bedacht keine arabischen Wörter zu verwenden, um keinesfalls ins Visier israelischer Beamt*innen zu geraten. Stattdessen grüsste ich die Leute mit שלום (Shalom). Die ganzen Kontrollen und Check-Points machten mich sehr nervös. Der Weg vom Ausstieg des Flugzeugs bis zu meinem Hotel in Jerusalem verlief aber glücklicherweise ohne erwähnenswerte Zwischenfälle. Auf der Taxifahrt hatte ich bereits das Vergnügen einen Teil des Landes zu sehen und festzustellen, dass Autofahren in Israel, und besonders in Palästina, nicht jedermanns und jedefraus Sache ist – weder das Blinken noch der Sicherheitsgurt oder die Geschwindigkeitsregulationen sind hierzulande von Bekanntheit. Wie ich jedoch schnell lernen durfte, ist das Autofahren bei weitem nicht der einzige kulturelle Unterschied.

Bereits am nächsten Morgen ging mein Abenteuer in Ramallah beim YWCA of Palestine, der Nichtregierungsorganisation, bei der ich für die nächsten drei Monate als Volontärin mitwirken werde, weiter. Ich war von der Herzlichkeit, mit der ich von allen Mitarbeiter*innen willkommen geheissen wurde, komplett überwältigt und fühlte mich sogleich sehr wohl. Man gibt sich Mühe, mir die vielen verschiedenen Projekte, so gut es geht, vorzustellen, und ich durfte bereits bei einem Workshop der „She Leads“ Akademie dabei sein. Leider lässt mein Arabisch, abgesehen von den wenigen Worten, die mir bereits beigebracht wurden, noch zu wünschen übrig, und die Kommunikation stellt besonders in ebendiesen Workshops eine Hürde dar, trotz Versuchen mit Tools wie „Google Übersetzer“ das Wesentliche zu übersetzen. Gleichwohl bin ich dankbar, wirkliche Einblicke in die Projekte zu bekommen, da bis dato der grösste Teil meines Volontariats aus Lesen von Berichten besteht. Ich bin jedoch hoffnungsvoll, dass ich in den nächsten Wochen eine etwas aktivere Rolle übernehmen kann, um auch direkt positive Impulse auf das meist nicht einfache Leben der Palästinenser*innen zu haben, und dabei ein Mosaiksteinchen zum Gesamtbild beizusteuern.

Bei meiner Gastfamilie in einem arabischen Dörfchen etwas ausserhalb von Ramallah fühle ich mich nicht nur gut integriert, sondern auch als aktiver Teil der Gemeinschaft. Auch hier sind alle äussert freundlich, überhäufen mich mit leckerem traditionellem Essen, bringen mir Wörter auf Arabisch bei und nehmen mich auf Hochzeiten und zu anderen Festivitäten mit. Jede und Jeder bemüht sich, dass ich möglichst viele Facetten Palästinas kennenlernen und voll und ganz in ihre Lebensweise eintauchen kann.
Trotz der vielen positivem ersten Eindrücke haben die wenigen Tage hier aufgrund der erneuten Eskalation des Nahostkonflikts bei Gaza und den gewalttätigen Zwischenfällen im Westjordanland einen negativen Beigeschmack. Dennoch fühle ich mich hier so weit sicher. Dies liegt zu einem grossen Teil auch daran, dass die Palästinenser*innen ihren Alltag in gewohnter Manier weiterleben und die sozial-politische Lage kaum Gesprächsthema ist. Nichtsdestotrotz wird das Leben in Palästina stark von der historisch-politischen Lage geprägt. Bei der Frage, wie denn die Hauptstadt von Israel heisse, kommt beispielsweise keine Antwort. Oder wenn ich nach Ramallah gehe, fahre ich an einem Eingang zu einer israelischen Siedlung vorbei und hier wird mit Maschinengewehren den Eingang bewacht und die Vorbeifahrenden beobachtet. Von einem nahen gelegenen Hügel konnte man teils sogar die abgefeuerten Raketen beobachten und auch das Abfeuern von Maschinengewehren kann man teilweise hören – mir wurde aber versichert, dass es sich bei letzterem lediglich um eine übliche Tätigkeit auf feierlichen Veranstaltungen handelt. Dies sind Dinge, an welche ich mich noch gewöhnen muss, normalisieren will ich sie aber auf keinen Fall.

 

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Mein Heimatdorf auf Zeit nach Sonnenuntergang (Anu Seiler, 09.08.2022)

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Im Zentrum von Ramallah (Anu Seiler, 06.08.2022)

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مقلوبة (Maqluba) - umgedreht - ein traditionell palästinensisches Gericht mit Reis und Hähnchen (Anu Seiler, 09.08.2022)

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